Erschienen in:
Wiener Zeitung
2.7.2022
GASTKOMMENTAR: Technik ist bequem, Verhaltensänderung nicht
Warum streben wir eine Antriebswende an und keine Mobilitätswende?
Otto Petrovic
Elektrifizieren des Antriebs scheint die Lösung gegen die unerwünschten ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen des Autofahrens zu sein. Andere Mobilitätsformen zu wählen und unnötige Wege zu vermeiden wäre jedoch wesentlich wirksamer. Auf Hochtouren arbeiten wir daran, Erdgas nicht mehr aus Russland, sondern aus dem arabischen Raum zu importieren. Wir könnten auch beim Hauptverbraucher von Erdgas, der Papierproduktion, ansetzen und nach dreißig Jahren der Digitalisierung alte Gewohnheiten ändern und volkswirtschaftliche Effizienz steigern.
Der Autor dieser Zeilen fuhr mit seinem Rennrad über den Himalaja und durch die zentraliranische Wüste, aber täglich mit dem Auto zur Universität. Warum das alles, warum eine Antriebswende und keine Mobilitätswende? Der Hauptgrund ist die wohl größte Innovationsbremse, das größte Hindernis, sein Verhalten zu ändern: Gewohnheit.
Na und - wo liegt das Problem? Es sind externe Effekte, deren Kosten wir auf andere abwälzen. Auf jene, die gar kein Auto besitzen: die Ärmsten der Armen in anderen Ländern und unsere Kinder. Der VCÖ berechnet jährliche Kosten des Straßenverkehrs für die Allgemeinheit von 15,6 Milliarden Euro, während die staatlichen Einnahmen 8,9 Milliarden Euro betragen. Der Klimawandel trifft jene am härtesten, die am wenigsten dazu beitragen. In der Muttermilch von Inuit-Frauen sind Pestizide zu finden. Unsere Kinder werden sich fragen, warum das Wasser fehlt, um in Österreich noch gentechnologisch unverändertes Gemüse anbauen zu können.
Unvorstellbar waren einst Verhaltensänderungen, die heute selbstverständlich sind. Leiden wir sehr darunter, dass im Flugzeug nicht mehr geraucht wird oder dass wir mit dem Euro statt dem Schilling bezahlen? Hier spielt die Lebensphase eine nennenswerte Rolle. Bis Anfang zwanzig scheint uns alles Neue als besonders interessant, da wir uns ja von unseren Eltern unterscheiden wollen. Bis vierzig haben wir dann unsere Gewohnheiten gefestigt, weil wir mittlerweile wissen, wo es lang geht. Danach wird jede Änderung eher als Bedrohung wahrgenommen. Bis wir unser Verhalten aufgrund äußerer Ereignisse, etwa eine Pandemie, ändern müssen. Dann merken wir, dass das Neue gar nicht so schlecht ist. Wie zum Beispiel derzeit bei der bleibenden vermehrten Nutzung von Videokonferenzen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie wird zur neuen Normalität.
Die Frage ist nur, ob wir unsere Verhaltensänderungen aktiv gestalten wollen oder als Passagier darauf warten, was äußere Zwänge erfordern. Ob durch den Gesetzgeber oder die Natur. Letztere verhandelt nicht, ist nicht gerecht und kennt kein Mitleid. Wir können an ihr nur die Folgen unseres Verhaltens ablesen.
Die schlechte Nachricht: Technologien können helfen, bleiben aber ohne Verhaltensänderung weitgehend wirkungslos. Die gute Nachricht: Wann immer wir etwas aufgeben, gewinnen wir auch etwas. Und das ist oftmals viel angenehmer als das alte Verhalten. Der Autor ist übrigens seit seiner ersten Radfahrt zur Universität kein einziges Mal die Strecke mit dem Auto gefahren.
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